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Washington-Post-Übernahme: Die Verlagsbranche braucht den iTunes-Moment

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2002 gingen die legalen Musikverkäufe um 9 Prozent zurück. Zuvor, im Januar des Jahres, flogen Manager von Warner Music, AOL Time Warner und Sony nach Cuptertino zum Apple-Hauptsitz, um mit dem damaligen Apple-Chef Steve Jobs zu sprechen. Nachdem Jobs vier Folien der Präsentation der Musikindustrie genervt ertragen hatte, sagte er: „You have your heads up your asses”.  So wird im amerikanischen Slang jemand auf drastische Weise beschrieben, der keinerlei Ahnung von dem hat, was gerade um ihn herum passiert.

Nach einer längeren Pause antwortete einer der Musikmanager, dass Jobs Recht habe und die Branche keine Ahnung habe, was sie tun sollte. Apple sollte ihnen helfen, da sie keine Antwort auf die massenhaft verbreiteten illegalen Musik-Downloads hätten. Die Anekdote findet sich in Walter Isaacsons autorisierter Steve-Jobs-Biografie - vielen Dank an egghat für den Hinweis.

You have your heads up your asses

Der iTunes Music Store war diese Antwort von Apple auf illegale Musikdownloads, weil er die legalen digitalen Musikverkäufe ebenso einfach machte wie die illegalen Tauschbörsen. Zumindest seit Apple durchsetzte, dass kein Digitales Rechtemanagement (DRM) mehr genutzt wird und legale Musikdownloads damit ebenso komfortabel wurden wie illegale, sind die legalen Downloadzahlen explodiert.

„You have your heads up your asses” ist ein Satz, den ich auch mal gerne sagen würde – und zwar in das Gesicht deutscher Verlagsmanager, die gerade mit dem Leistungsschutzrecht eines der juristisch sinnlosesten und schädlichsten Gesetze der deutschen Nachkriegszeit durchgesetzt haben, das sie bei der Digitalisierung ihres Geschäfts keinen Zentimeter weiterbringen wird – im Gegenteil. Stattdessen leiden nun beispielsweise rund 650 Lokalzeitungen und andere Publikationen darunter, dass sie bei Rivva.de rausgeflogen sind – was nicht zuletzt ihrem Google-Ranking schaden wird.

Das Leistungsschutzrecht  trifft die Falschen und es hilft auch den Falschen, wie es der Wettbewerbsökonom Justus Haucap im Interview mit Horizont auf den Punkt bringt. „Es fördert die Rechtsunsicherheit und öffnet dubiosen Abmahnern ein neues Geschäftsfeld. Es ist sicher eines der schlechtesten Gesetze, das die Bundesregierung verabschiedet hat.“

Man könnte den deutschen Verlagen angesichts ihres dummen und anti-marktwirtschaftlichen Handels ohne Reue den Untergang wünschen, wenn nicht leider auch die für eine demokratische Gesellschaft wichtigen Qualitätsinhalte von journalistischen Medien zumindest zum Teil von diesen Verlagen abhängen würden.

Amazon-Chef Jeff Bezos.

Amazon-Chef Jeff Bezos. Grafik: Insider Monkey, Lizenz: CC-BY-ND 2.0

Und es gibt Hoffnung. Vielleicht ist die Übernahme der US-Traditionszeitung Washington Post durch Amazon-Chef und Gründer Jeff Bezos auch so ein Moment für die Verlagsbranche – ein iTunes-Moment.

Ein Teil der Lösung ist, dass die Verlage das Digitalgeschäft verstehen und damit entweder selbst zu Technologiekonzernen werden – oder sich zumindest so wie Anfang der 2000er die Musikindustrie von Technologiekonzernen helfen lassen. Nach allem, was ich aus Vorstandsetagen deutscher Verlagshäuser mitbekommen habe, halte ich es für ausgeschlossen, dass die Verlage in absehbarer Zeit selbst zu Technologie-Konzernen werden. Menschen, die in solchen Konzernen hohe Positionen bekleiden, wissen nicht einmal, wie man eine App installiert. Deshalb hoffe ich auf Hilfe durch Tech-Konzerne.

Es wäre allerdings etwas übereilt nun wie einst Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner zu beten und Steve Jobs zu danken. Unvergessen ist auch, dass sich Apple mit ungewöhnlich großen Provisionen im Digitalgeschäft dafür belohnt hat, dass sie der Musindustrie endlich den digitalen Vertriebskanal erschlossen haben. Doch selbst das wäre schon ein Fortschritt.

Denn einen vernünftigen Vertriebskanal für digitale journalistische Inhalte gibt es bis heute nicht. Es gibt das Web, indem sich die Leser dank der Strategie der Verlage an kostenlose Inhalte gewöhnt haben. Es gibt Versuche mit Bezahlschranken, bei denen der Leser nach dem Prinzip „Friss oder stirb“ entweder ein Abo abschließen oder keinen einzigen Artikel hinter der Bezahlschranke lesen kann.

Kann der Leser wie bei der FAZ einzelne Artikel kaufen, dann zu Phantasiepreisen, die sich auf dem Preisniveau einer ganzen Ausgabe befinden – davon abgesehen, dass man den Artikel erst einmal finden muss. Und dann gibt es natürlich noch Apps, die den Web-gewohnten Leser in keiner Weise zufriedenstellen, weil die Inhalte eingesperrt, meist weniger aktuell als im Web und auf eine einzige Publikation beschränkt sind. Eine Alternative für Zeitungsleser vielleicht – aber nicht für Leser, die jeden Tage eine Reihe verschiedener Nachrichten-Websites nutzen. Zeitungsleser aber sterben aus.

fg

Foto: Jack Weir, Public Domain

Was hat nun Jeff Bezos, um das zu ändern? Alles. Wie Karsten Lohmeyer (Twitter) bei den Lousy Pennies ausführt, bietet Bezos’ Unternehmen Amazon alles, was für den Journalismus im Netz endlich die Wende bringen könnten, um wieder zu einem Geschäftsmodell werden zu können: Zugang zu Millionen Kunden, Marktmacht im Internet, ein weit verbreitetes Lesegerät, Tausende Autoren und vor alle ein etabliertes und einfaches Bezahlsystem. Der von iTunes etablierte 99-Cent-Preis bei Musik, verbunden mit der Flexibilität auch einzelne Songs herunterzuladen, brachte neben der Aufgabe von DRM für legale digitale Musik die Wende. Vielleicht braucht es endlich den 10- oder 20-Cent-Preis für Artikel verbunden mit der Möglichkeit über ein digitales Zeitungskiosk einzelne Artikel aus ganz verschiedenen Publikationen herunterzuladen, um dem Onlinejournalismus als Geschäftsmodell zum Durchbruch zu verhelfen – und zwar auch für Publikationen, die keine Spiegel-Online-Reichweite habe.

Vielleicht schafft Bezos ja endlich das iTunes für journalistische Inhalte auf seiner Kindle-Plattform und rettet damit die Verlage aus ihrer selbst verschuldeten Unfähigkeit. Dem Journalismus wäre es zu wünschen.



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